Ethik by Baruch de Spinoza
Autor:Baruch de Spinoza [Spinoza, Baruch de]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Literary, Fiction
ISBN: 9783842418592
Herausgeber: tredition
veröffentlicht: 2011-08-09T22:00:00+00:00
Definitionen der Affekte
Definitionen der Affekte
1. Die Begierde ist das Wesen des Menschen selbst, insofern es begriffen wird als von irgendeiner gegebenen Affektion desselben dazu bestimmt, etwas zu tun. Erläuterung. Wir haben oben in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils gesagt, Begierde sei Verlangen mit dem Bewußtsein desselben, das Verlangen aber sei das Wesen des Menschen selbst, insofern es bestimmt ist, das zu tun, was zu seiner Erhaltung dient. In derselben Anmerkung habe ich aber auch erinnert, daß ich in der Tat zwischen menschlichem Verlangen und der Begierde keinen Unterschied anerkenne. Denn mag der Mensch sich seines Verlangens bewußt sein oder nicht, so bleibt doch das Verlangen ein und dasselbe. Um also keine Tautologie zu machen, habe ich Begierde nicht durch Verlangen erklären wollen, sondern sie so zu erklären gesucht, daß ich alle Bestrebungen der menschlichen Natur, die wir mit den Benennungen: Verlangen, Wille, Begierde oder heftiges Verlangen bezeichnen, in eins zusammenfaßte. Denn ich konnte sagen, Begierde sei das Wesen des Menschen selbst, insofern es begriffen wird, als bestimmt, etwas zu tun; aber aus dieser Definition würde (nach Lehrsatz 23, T. 2) nicht folgen, daß der Mensch sich seiner Begierde oder seines Verlangens bewußt sein könnte. Daher war es nötig, um die Ursache dieses Bewußtseins mit einzuschließen (nach demselben Lehrsatz), hinzuzufügen: insofern es begriffen wird als aus irgend einer gegebenen Erregung desselben bestimmt, etwas zu tun. Denn unter der Affektion des menschlichen Wesens verstehen wir jeden Zustand dieses Wesens, mag er angeboren sein oder mag er durch das bloße Attribut des Denkens oder durch das bloße Attribut der Ausdehnung begriffen werden, oder mag er sich endlich auf beide zugleich beziehen. Hier also verstehe ich unter der Benennung Begierde jedes Streben, Wollen, Verlangen und jede heftige Begierde, wie sie nach dem verschiedenen Zustande desselben Menschen verschieden und nicht selten einander so entgegengesetzt sind, daß der Mensch hin- und hergerissen wird und nicht weiß, wohin er sich wenden soll.
2. Lust ist der Übergang des Menschen von geringerer zu größerer Vollkommenheit.
3. Unlust ist der Übergang des Menschen von größerer zu geringerer Vollkommenheit.
Erläuterung. Ich sage Übergang, denn Lust ist nicht die Vollkommenheit selbst; denn wenn der Mensch mit der Vollkommenheit, zu der er übergeht, geboren würde, würde er ohne den Affekt der Lust im Besitz derselben sein; was aus dem Affekt der Unlust, welcher diesem entgegengesetzt ist, noch deutlicher erhellt. Denn daß die Unlust in dem Übergang zur geringeren Vollkommenheit besteht, nicht aber in der geringeren Vollkommenheit selbst, kann niemand leugnen, da ja der Mensch insofern nicht Unlust haben kann, als er irgendeiner Vollkommenheit teilhaftig ist. Auch können wir nicht sagen, daß die Unlust in dem Mangel größerer Vollkommenheit besteht, denn Mangel ist nichts, der Affekt der Unlust aber ist ein Akt, der darum kein anderer sein kann als der Akt des Übergehens zu geringerer Vollkommenheit, d. h. ein Akt, wodurch das Tätigkeitsvermögen des Menschen vermindert oder eingeschränkt wird (siehe Anm. zu Lehrsatz 2 dieses Teils). Im Übrigen übergehe ich die Definitionen von Wohlbehagen, Wollust, Mißmut und Schmerz, weil sie sich hauptsächlich auf den Körper beziehen und nur Arten der Lust oder Unlust sind.
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